Weltweit freelancen mittlerweile fast 47 % der arbeitenden Bevölkerung. Die Tendenz ist steigend: Arbeit wird flexibler, fragmentierter, individueller.
In Deutschland dagegen scheint alles etwas langsamer und träger zu sein. Die Zahl der klassischen Selbstständigen stagniert – und doch: der Wandel findet längst statt. Nur eben anders.
Meine These: Der Freelancing-Trend zeigt sich in Deutschland, aber aktuell nicht in der Form der klassischen Vollzeitselbstständigkeit, sondern als Polywork.
Menschen kombinieren mehrere Jobs, Rollen oder Einkommensquellen gleichzeitig und verändern damit still, aber tiefgreifend, wie wir Arbeit verstehen.
Diese Entwicklung wird unterschätzt, besonders im HR-Bereich. Denn Polyworking wird unser Verständnis von Loyalität, Karriere und Arbeitgeberbindung auf den Kopf stellen.
Was sagt der aktuelle Arbeitsmarkt
Wenn wir über Selbstständigkeit sprechen, denken viele noch an die „Vollerwerbsgründung“. Doch die Realität ist längst komplexer und spricht für meine Hypothese.
Laut KfW-Gründungsmonitor 2024 gab es in Deutschland 585.000 Gründungen (+3 % zum Vorjahr). Klingt gut aber der Anstieg kommt fast ausschließlich aus Nebenerwerbsgründungen. Während Vollerwerbsgründungen leicht zurückgingen (−1 %), stiegen Nebenerwerbsgründungen um 5 % auf 382.000. Das war in 2023 auch schon der Fall. Heißt: Zwei Drittel aller Gründungen sind nebenberuflich - oft vielleicht im ersten Schritt, aber nicht nur.
Laut einer Studie von Academized (2025) arbeiten bereits über 50 % der Millennials in Deutschland in mehreren Jobs gleichzeitig. Ein Drittel jongliert sogar vier oder mehr Tätigkeiten parallel. Was früher „Nebenjob“ hieß, ist heute Polywork oder anders gesagt: momentan die deutsche Antwort auf den Freelancing-Boom.
Auch das Zukunftsinstitut sieht darin keinen Zufall, sondern einen echten Paradigmenwechsel. In der FirstSignals®-Analyse 2024 wurde Polywork als einer von vier zentralen Zukunftstrends identifiziert gleichauf mit Themen wie Gig Economy, Hybrid Work oder New Leadership. Deutschland ist also zum Glück nicht freelancing-faul – wir sind momentan einfach anders flexibel.
Was ist Polyworking?
Was früher als „Nebenbeschäftigung“ galt, entwickelt sich heute zu einem eigenständigen Arbeitsmodell: Polyworking.
Polyworking beschreibt das gleichzeitige Ausübung von mehreren beruflichen Tätigkeiten oft über unterschiedliche Branchen, Rollen oder Auftraggeber hinweg.
Im Unterschied zu klassischen Nebenjobs ist Polyworking kein Lückenfüller, sondern ein dauerhaft koordiniertes Portfolio aus Tätigkeiten, das wirtschaftliche Stabilität, persönliche Entwicklung und Sinnstiftung miteinander verbindet.
Die Ausprägungen können vielfältig sein: Kombination aus einem Hauptjob plus mehreren Nebenprojekten, zwei oder mehr Teilzeitstellen parallel, mehrere langfristige Freelance-Tätigkeiten gleichzeitig, Kombination unterschiedlicher Rollen (z. B. Strategie, Beratung, Lehre oder Kreativarbeit).
Diese Portfolio-Logik oder „Career Cushioning“ unterscheidet Polyworking grundlegend vom traditionellen Arbeitsverständnis: Arbeit wird nicht mehr linear, sondern modular und plural gedacht. Es geht nicht um den „einen“ Jobtitel, sondern um ein persönliches Ökosystem von Kompetenzen, Interessen und Projekten.
Polyworking steht damit für die nächste Evolutionsstufe flexibler Arbeit: Nicht mehr entweder angestellt oder selbstständig, sondern sowohl als auch. In Zukunft werden viele Menschen gleichzeitig für ein Unternehmen, eine NGO und ein eigenes Projekt arbeiten und darüber hinaus weiterlernen, lehren oder gründen.
Für mich ist es kein Trend am Rand, sondern ein Ausdruck eines echten Wertewandels weg von exklusiver Zugehörigkeit zu einem Unternehmen oder Arbeitgeber.
Warum das an Bedeutung gewinnt
Digitale Plattformen machen es heute einfacher denn je, mehrere Tätigkeiten parallel auszuüben. Gleichzeitig hat sich die Haltung zur Arbeit verändert: Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung und Vielfalt zählen mehr als klassische Karriereleitern.
Was früher vor allem Eltern oder Pflegende betraf, wird heute zum Grundprinzip moderner Arbeit: Vereinbarkeit ist kein Nischenthema mehr. Menschen organisieren ihr Leben nicht mehr um den Job. Sie organisieren ihre Arbeit um ihr Leben.
Laut Destatis (2024) arbeiteten Erwerbstätige im Nebenjob durchschnittlich 7,9 Stunden pro Woche, bei Selbstständigen mit Beschäftigten sogar 10,8 Stunden.
Implikationnen für HR
Polywork ist genau das, was HR seit Jahren predigt: Agilität, Selbstverantwortung, lebenslanges Lernen, Cross-Collaboration. Für HR bedeutet das: klassische Instrumente wie Kontrolle, Präsenzpflicht oder Loyalitätslogik stoßen an ihre Grenzen. Die Frage lautet nicht mehr „Wie verhindern wir Nebentätigkeiten?“, sondern „Wie gestalten wir Arbeit so, dass sie Vielfalt zulässt ohne zu überlasten?“
Kontrolle ist vorbei: Verfügbarkeit lässt sich nicht mehr managen aber Vertrauen und Output schon. Policies statt Verbote, Ergebnisvereinbarungen statt Stundenlisten.
Loyalität teilt sich: Mitarbeitende binden sich nicht mehr exklusiv an eine Organisation, sondern an Werte, Sinn und Freiraum.
Karriere wird plural: Brüche sind kein Risiko mehr, sondern Ausdruck von Lern- und Anpassungsfähigkeit. Konkrete Umsetzungen von Polywork im Unternehmen sind Job-Rotation, Talentsharing und abteilungsübergreifendes Job-Sharing. Auch schnell kann man Polywork intern fördern: Das Intranet kann eine Polywork-Börse beinhalten , auf denen Mitarbeitende ihre Interessen, Nebenprojekte oder Fähigkeiten sichtbar machen
Vereinbarkeit wird universell: Nicht nur Eltern oder Pflegende fordern Flexibilität, sondern alle Generationen. Nebenprojekte, Weiterbildung, Care-Arbeit: alles Teil moderner Erwerbsbiografien.
Neue Chancen für Unternehmen: Wer sich und sein Unternehmen auf Polyworking einstellt, kann auch selbst punktuell viel besser Skills ins Unternehmen holen, etwa durch Freelancing, projektbasierte Einsätze oder geteilte Rollen.
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Quellenverzeichnis
KfW Research: Zahl der Existenzgründungen steigt 2024 leicht. KfW Research. 
KfW Gründungsmonitor 2024: Nebenerwerbsgründungen legen zu.
Erwerbstätige mit mindestens einer weiteren Tätigkeit (Zweitjobquote 2024: 4,7 %). Statistisches Bundesamt Destatis
Begriff und Bedeutung von Polywork / Portfolio-Karriere - Referenz auf Zukunftsinstitut.https://www.zukunftsinstitut-workshop.de/onlineshop/studie-arbeitsreport-2024/


